Gründungsgeschichte der Arche Zürich und die ersten 25 Jahre
Am Anfang der Arche steht ein Haschischguetzli. Es ist gleichsam Gründervater (-mutter) der Arche. Daher können wir festhalten, ohne Haschisch gäbe es die Arche nicht. Und dies eben nicht nur, weil die Arche gegen Drogensucht und -abhängigkeit gekämpft hat und weiterhin kämpft.
Aber Schritt für Schritt. 1980 war ich als junger Anwalt in Zürich tätig. Mein Spezialgebiet war das Arbeitsrecht. In diesem Bereich war ich an der Universität Zürich als Assistent Mitte der 70-ger Jahre tätig. Auch meine Dissertation verfasste ich zu einem arbeitsrechtlichen Thema. Ich galt damals auf dem Platz Zürich daher als der Spezialist für Arbeitsrecht.
Dieser Ruf drang offenbar auch bis zu einem von der Psychiatrischen Klinik Burghölzli fristlos entlassenen Psychiatriepfleger, der den Weg in unsere Praxis an der Langstrasse 4 fand. Dieser Psychiatriepfleger hatte für sich und seine Freundin Haschischguetzli gebacken und sich dabei mit der Dosierung offensichtlich übernommen. Auf jeden Fall erlitt seine Freundin nach dem Guetzligenuss Panikattacken, sodass der verzweifelte Psychiatriepfleger den Notfallarzt aufbieten musste. Dieser kam, sedierte die Freundin, und er-stattete bei der Polizei gegen den Pfleger eine Anzeige wegen Haschischvergehens.
Es folgte ein Strafverfahren und natürlich eine Meldung an die Arbeitgeberin, die flugs eine fristlose Entlassung aussprach. Und wegen dieser Fristlosen suchte der Pfleger meine Hilfe. Ich schrieb dem Burghölzli einen empörten Brief, stritt mich mit dem zuständigen Gesundheitsdirektor herum und konnte schliesslich einen vernünftigen Vergleich für meinen Klienten erzielen. Dieser hatte in der Zwischenzeit eine neue Anstellung in einer Therapiestation für Drogenabhängige (der damalige Sprachgebrauch), welche eine Gemeinschaft Patrick in einem ehemaligen Altersheim ausserhalb von Bülach führte, gefunden. Mein Klient baute diese Station zusammen mit einem Team von Gleichgesinnten mit viel Engagement auf.
Sein Glück an der neuen Arbeitsstelle währte allerdings nicht lange. Nach wenigen Monaten wurde sein Chef und Gründer der Gemeinschaft, eben ein gewisser Patrick, verhaftet, weil er Beziehungen zu Pflegebefohlenen und Betreuten eingegangen war. Und so stand der Psychiatriepfleger wieder vor meiner Tür, weil der Institution die Schliessung und der Konkurs drohte, und ihm der Verlust der Arbeitsstelle. Der «Beobachter» war bereits hinter der Geschichte her und hatte offenbar einen Artikel vorbereitet, um der Gemeinschaft Patrick den Garaus zu machen.
Mit meinem Klienten beriet ich, was zu tun war. Er schilderte mir eindrücklich die Arbeit seines Teams in der Therapiestation. Patrick hatte damit gar nichts zu tun, er war vor allem mit der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. Daneben führte die Gemeinschaft noch ein kleines Brockenhaus in Altstetten. Mein Klient überzeugte mich davon, dass es sich lohnte, die Arbeit in der Therapiestation weiterzuführen, allerdings ohne Patrick.
In jener Zeit arbeitete ich häufig mit dem «Beobachter» zusammen, wenn es darum ging, einen «bösen Arbeitgeber» wieder einmal an den Pranger zu stellen. Von daher kannte ich die Journalisten und Journalistinnen dieser Zeitschrift. Ich griff also zum Telefon und schilderte dem «Beobachter» die Situation. Es wäre schade, wenn die engagierte Arbeit des Teams in Bülach zunichte gemacht würde wegen der Verfehlungen von Patrick, der mit der Arbeit in der Therapiestation nichts zu tun hatte, argumentierte ich. Auch waren seine Übergriffe nicht dort erfolgt, sondern irgendwo im Appenzell, wo Patrick noch ein Haus besass.
Der «Beobachter» liess sich überzeugen, allerdings unter einer Bedingung: Patrick musste zurücktreten und ich sollte als neuer Präsident den Verein führen. Ich liess mich, aus Rücksicht auf meinen Klienten, erweichen und marschierte bald mit einer vorbereiteten Rücktrittserklärung in meiner Mappe ins Untersuchungsgefängnis Zürich, wo Patrick seinen Rücktritt als Präsident und von allen weiteren Funktionen unterzeichnen musste. An der nächsten Generalversammlung wurde ich dann zum Präsidenten gewählt. Den Namen des Vereins wechselten wir bei dieser Gelegenheit von Gemeinschaft Patrick auf Gemeinschaft Arche. Und der «Beobachter» verzichtete auf seinen vernichtenden Artikel über die Gemeinschaft Patrick. Im Gegenteil, er unterstützte uns mit einem namhaften Betrag aus der Weihnachtsaktion, sodass wir einen Konkurs abwenden konnten.
Da stand ich nun, mit einer Therapiestation und einem Brockenhaus am Hals, von beiden Bereichen verstand ich wenig oder nichts. Als erstes suchte ich daher nach neuen Vorstandsmitgliedern. Grosses Glück hatten wir, als Dr. Christian Bernath zusagte, im Vorstand als Vizepräsident mitzuwirken. Christian war Psychiater, Mitbegründer der Therapiegemeinschaft Ulmenhof, eine der ersten Gemeinschaften, die sich der Rehabilitation von Drogenabhängigen widmete. Er war in der Arbeit mit Suchtpatienten sehr erfahren und während seiner mehr als 20-jährigen Vorstandstätigkeit fachlich und menschlich eine grosse Hilfe. Christan Bernath hatte auch gute Beziehungen zu Prof. Ambros Uchtenhagen, dem «Drogenpapst» von Zürich, den wir jederzeit um Rat fragen konnten und der der Arbeit der Arche sehr wohlgesinnt war.
Und dann expandierte die Arche konstant, dies immer in enger Absprache mit den Mitarbeitenden. Dem Zeitgeist entsprechend hatten wir für die Arche ein Mitbestimmungsmodell entworfen. Alle Mitarbeitenden waren Vereinsmitglieder und auch im Vorstand vertreten. Mit diesem Modell haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Es garantierte, dass wir nicht über die Köpfe der Mitarbeitenden Entscheidungen trafen. Andererseits wurden die Mitarbeitenden auch in die Verantwortung für das Wohlergehen der Arche mit einbezogen. Einen Missbrauch des Mitbestimmungsrechts seitens der Mitarbeitenden konnte ich nie feststellen. Dennoch mussten wir später auf Verlangen der ZEWO das Mitbestimmungsmodell einschränken. Ich denke aber, dass der Umstand, dass der Vorstand der Arche alle wichtigen Entscheide und Expansionsschritte immer in Absprache mit den Mitarbeitenden fällte, viel zum «Betriebsfrieden» in und zum Erfolg der Arche beigetragen hat.
Mit dem Brockenhaus in Altstetten zügelten wir schon bald in einem SBB-Schuppen an der Zollstrasse neben den Geleisen beim Hautbahnhof, ein sensationeller Standort, der uns immer bekannter machte. Als uns die SBB kündigte zogen wir in ein altes Chemiegelände (Labitzke-Areal) an der Hohlstrasse in Zürich. Hier hatten wir viel Raum zu einem günstigen Preis. Und auch illustre Nachbarn, von der Moschee in einer alten Werkhalle bis zur Werkstätte zur Reparatur und zum Versand von gestohlenen Autos. Ein faszinierender Mix von alternativen Ideologien und Gewerbetreibenden in der Pampa. Rundherum war nämlich nichts als Brache, kaum zu glauben, wenn man heute vor dem Bröko-Zentrum steht, umgeben von stolzen Neubauten. Vermieter war ein etwas dubioser Geschäftsmann aus dem Langstrassenmilieu, man konnte jedoch mit ihm leben. Dann ergab sich für uns aber die Möglichkeit, auf der Nachbarliegenschaft eine grosse Lagerhalle mit Geschäftshaus zu kaufen. Grosszügige Spender ermöglichten diesen Kauf. Ab dem Jahre 2000 sanierten und erweiterten wir diese Liegenschaft grundlegend. Über dem Geschäftshaus an der Hohlstrasse entstand ein mehrstöckiges Gebäude für begleitetes Wohnen mit einem Restaurant/Bistro im Parterre. Ein Sohn des Gastrounternehmers Bindella beriet uns unentgeltlich hinsichtlich Ein- und Ausrichtung des Bistros. In der Lagerhalle wurde das Brockenhaus und eine Rutschbahn für Kinder untergebracht. Der ganze Komplex besteht in dieser Form bis heute. Das Sekretariat zog bei dieser Gelegenheit von der Langstrasse 6 in das Geschäftshaus an der Hohlstrasse.
Noch vorher sanierten und erweiterten wir das Altersheim / die Therapiestation in Bülach sehr aufwendig und errichteten daneben noch eine Schreinerwerkstatt. Neben der Drogentherapie schenkten wir dem begleiteten Wohnen und der Beratung und Integration von (Ex-)Drogenabhängigen grosse Aufmerksamkeit. Dies aus der Erkenntnis heraus, dass auch nach einer Therapie eine weitere Unterstützung regelmässig notwendig war. Zudem war das begleitete Wohnen häufig auch eine Alternative zu einer stationären Therapie. Wir übernahmen das diesbezügliche Projekt der ZAP (Zürcher Aidsprojekt). Auf der Suche nach einer geeigneten Liegenschaft fanden wir gleich zwei Mehrfamilienhäuser an der Stationstrasse und in Wollishofen. Mutig kauften wir beide Liegenschaften, die wir mit Staatsbeiträgen und Spenden finanzieren konnten. Wollishofen verkauften wir einige Jahre später wieder, um den Kauf des neuen Brockenhauses an der Hohlstrasse mitzufinanzieren. Heute führt die Arche insgesamt vier Liegenschaften mit betreutem Wohnen.
Im Brockenhaus war es uns möglich diverse sog. geschützte Arbeitsplätze anzubieten. Dies entsprach einem grossen Bedürfnis. Dies war auch der Hauptgrund, weshalb wir ein Brockenhaus führten und stetig vergrösserten. Weitere Arbeitsplätze konnte wir durch die Übernahme der Gärtnerei in Uitikon / Waldegg von der Zürcher Arbeitskette (ZAK) anbieten.
Vom Verein Basta übernahmen wir das Projekt Gassenarbeit, ein Projekt zur Betreuung und Beratung von Obdachlosen. Einmal pro Woche konnten wir in der Migros am Limmatplatz nicht gebrauchte Lebensmittel abholen. Davon gab es dann ein (immer gut besuchtes) Essen in unserem Lokal an der unteren Langstrasse 116. Für die Vorstandsmitglieder war es ein «Must» dabei mitzuhelfen, um auch einmal den Kontakt zu der «Basis» zu haben. Irgendeinmal wurde dieses Projekt aufgegeben. Dafür übernahmen dann aber ebenfalls im Kreis 4, an der Konradstrasse, eine Beratungsstelle für (drogenabhängige) Mütter mit Kindern. Dies waren die ersten Anfänge zum heutigen breiten Angebot der Arche Beratungsstelle für Familien.
Als ich das Präsidium der Arche übernahm, führte Toni Ghirelli ein kleines Sekretariat an der Langstrasse 6, gleich neben meinem Anwaltsbüro an der Langstrasse 4. In der Anfangsphase verbrachte ich dann fast mehr Zeit an der Langstrasse 6, bis aus der gestrauchelten Gemeinschaft Patrick eine solide Arche wurde. Toni Ghirelli hat diese Arbeit und diesen Übergang sehr solidarisch mitgetragen und er hat einen grossen Verdienst daran, dass der Neustart gelungen ist. Zusammen mit einer Lehrerin aus dem Kreis 4 hatte Toni Ghirelli im Sekretariat zudem ein kleines «Nachhilfestudio» eingerichtet. Jeden Mittwochnachmittag kamen von der Lehrerin ausgewählte, benachteiligte Schulkinder in das Sekretariat der Arche, wo freiwillige Mitarbeiterinnen ihnen bei den Schulaufgaben halfen, mit ihnen Ausflüge machten und oft auch noch die ganze Familie mit betreuten. Diese Betreuung dauerte oft über Jahre, von der Primarschule bis zur Lehrstellensuche. So entstand eine immer grössere Archefamilie aus Betreuerinnen und Kindern. Was sehr bescheiden an der Langstrasse 6 begann wurde für die Arche eine grosse Erfolgsgeschichte. Das Projekt wurde stetig ausgebaut und professionalisiert, neue Räumlichkeiten in anderen Quartieren mussten wir dazu mieten. Heute bestehen vier Standorte der Arche Kinderbegleitung, wo sich rund 160 Freiwillige um ebenso viele Kinder kümmern. Eine seltene Erfolgsgeschichte. Danke Toni Ghirelli für Deine Idee und dein Engagement. Das rasante «Wachstum» der Arche wurde Toni Ghirelli allerdings rasch zu viel und in Ernst Haueter fanden wir einen idealen Nachfolger, der mit seinem Unternehmergeist, aber auch mit seinem vernünftigen Realismus, viel zum Wachstum, zur Stabilität und Seriosität der Arche beitrug. 2008, drei Jahre nach meinem Rücktritt als Präsident, ging Ernst Haueter in Pension und hinterliess seinem Nachfolger ein kerngesundes und gut aufgestelltes Sozialwerk.
Soweit die Geschichte der ersten 25 Jahre der Arche aus meiner Erinnerung (die genauen Jahreszahlen sind beim heutigen Geschäftsleiter David Häne zu erfragen). Und die Fortsetzung müssen meine Nachfolgerinnen Myrtha Meuli und Sybille Marti schreiben.
(Hinweis der Redaktion: Der Text stammt von Kurt Meier, dem ersten Präsidenten der Arche Zürich. Als ihn seine schwere Krankheit bereits stark gezeichnet hatte, verfasste er im August 2023 die Gründungsgeschichte der Arche Zürich.)