Was haben Puppen, Filme und Alchimisten miteinander zu tun?
Die Antwort lautet: Kunststoff. Bei der Recherche zu Artikeln für den Arche Online-Shop lernt man mitunter skurrile Dinge, wie zum Beispiel bei diesem Puppenkarussell von SCHILDKRÖT aus der Zeit der Jahrhundertwende (1890 – 1910), das bereits einen glücklichen Besitzer gefunden hat. Die Puppen sind aus Zelluloid und die Kleider alle liebevoll handgestickt.
Puppen aus Zelluloid? Hmm… Zelluloid, das ist doch ein Kunststoff, oder? Hat das nicht auch was mit Filmen zu tun?
Aber der Reihe nach:
Die Geschichte des Kunststoffs beginnt bereits im Jahr 1530, also lange vor der industriellen Revolution, und führt uns von schummrigen Alchimistenlaboren bis in die Kinderstube des Weltraumzeitalters.
Kunsthorn
Die Alchimisten suchten nach einer haltbareren Alternative zum Naturhorn, dem Material, aus dem im Spätmittelalter vor allem Schmuck und Trinkgefässe hergestellt wurden.
Die Antwort darauf lautete: Magerkäse (was sonst?).
Es war der Schweizer Kaufmann und Alchimist Bartholomäus Schobinger, ein Zeitgenosse und Freund von Paracelsus, der erkannte, dass Magerkäse, beim Erhitzen formbar wird und beim Abkühlen sowohl seine Härte zurückgewinnt als auch die neue Form behält. Das durchscheinende Material liess sich ausserdem beliebig einfärben.
Der bayerische Benediktinerpater Wolfgang Seidel nutzte Bartholomäus Schobingers Rezept, um daraus ein Material herzustellen, das er «Kunsthorn» nannte. Der Ersatz für das spröde Naturhorn war gefunden.
Doch es sollte noch mehr als 300 Jahre dauern, bis diese makromolekularen Naturstoffe auch künstlich nachgebaut werden konnten.
Gummi
Den Grundstein dafür legte im Jahr 1839 Charles Goodyear. Durch eine wissenschaftliche Zufallsentdeckung fand er heraus, wie man Gummi herstellen kann – nämlich durch Vulkanisation, ein Verfahren, bei dem Naturkautschuk in elastischen Gummi umgewandelt wird. 1844 liess er diese Entdeckung patentieren und präsentierte sie 1851 erfolgreich an der Weltausstellung in London.
Zelluloid (Schiessbaumwolle)
Im Jahr 1855 gelang es Alexander Parkes, der weder in Chemie noch in Physik eine Ausbildung hatte, Zelluloid herzustellen, den ersten thermoplastischen Kunststoff, der allerdings noch nicht stabil genug war. 13 Jahre später, 1968, perfektionierte der Chemiker und Erfinder John Wesley Hyatt das Verfahren. Er war auf der Suche nach einem Ersatzmaterial für die Herstellung von Billardkugeln, die bis dahin aus teurem Elfenbein gefertigt wurden.
Die Verwendungsmöglichkeiten von Zelluloid waren vielfältig. So begann der Thüringer Puppenhersteller SCHILDKRÖT anno 1896 mit der Herstellung von Puppen aus Zelluloid. Im selben Jahr zauberten die Gebrüder Lumière mit ihrem Kinematographen die ersten Filmbilder der Geschichte auf die Leinwand - ebenfalls auf Zelluloid.
Doch der neue Kunststoff hatte einen entscheidenden Nachteil. Er war leicht entzündbar und damit hochgefährlich. Das zeigte die verheerende Brandkatastrophe vom 4. Mai 1897 im Bazar de la Charité in Paris, bei der über hundert Menschen ums Leben kamen. Das Kalklicht eines Kinematographen hatte Feuer gefangen. Im selben Gebäude mit Zeltdach befand sich auch ein mit Wasserstoff gefüllter Montgolfière-Heissluftballon. Das Zelluloid trug dazu bei, dass sich das Feuer rasend schnell ausbreitete.
Immer wieder brannten ganze Filmarchive mit Zelluloid spontan nieder, was einer der Hauptgründe dafür ist, dass viele Stummfilme heute verschollen sind. 1951 wurde das Zelluloid in den Kinos verboten und durch Sicherheitsfilm ersetzt.
Als Tonträger für Musik bewährte sich Zelluloid nicht. Auch Hartgummi schien wenig geeignet. Ab 1896 setzte Emil Berliner ganz auf Schellack, das perfekte Bindemittel für die Herstellung von Schallplatten. Dieser natürliche Gummilack wurde bereits vor 3000 Jahren in frühen indischen Sanskrit-Schriften erwähnt.
Schellack, auch Lackharz genannt, wurde aus den Ausscheidungen von Blattläusen gewonnen. Für die Herstellung eines Kilos brauchte man 300'000 Läuse. Das Endprodukt, die Schellackplatte, war sehr zerbrechlich und darum für die Kinderstube wenig geeignet. Deshalb wurde es ab 1944 durch Vinyl ersetzt.
Bakelit
1907 war das Jahr, in dem Leo Hendrik Baekeland seine neue Erfindung der Welt vor: Bakelit, ein phenoplastischer Kunststoff, der erste, der nur (ausschliesslich) synthetische Moleküle enthielt. Er erhielt das Patent für sein Druck-Hitze-Verfahren, und sein neuer Kunststoff trat seinen Siegeszug an. Verwendet wurde er vor allem für die Herstellung von Haushaltsgegenständen und Gehäusen für Radios, Lichtschalter und Steckdosen. Auch für Autokarosserien und seit Beginn des Ersten Weltkriegs für Waffen und Uniformknöpfe wurde Bakelit verwendet.
Lego und Barbie
Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Kunststoffs sind die im Jahr 1958 patentierten Kunststoffbausteine von Lego. Ein Jahr später hielt Barbie, hergestellt aus dem Kunststoff PVC, Einzug in die Kinderzimmer. Die Produktion wurde bald nach Südostasien ausgelagert, wo die beliebten Plastikpuppen bis heute unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt werden.
Dank dem Arche Online Shop fand schon manches Barbie, statt im Meer zu landen, ein zweites Zuhause.