Seit über dreissig Jahren werden in der durch den Verein Arud geführten Praxis Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen behandelt. Ursprünglich von Ärzt:innen als medizinische Antwort auf die Schliessung der offenen Drogenszene gegründet, ist sie heute eine der grössten Institutionen der Schweizer Suchtmedizin und Anlaufstelle für viele Klient:innen der Arche.
Von aussen deutet nichts auf die spezielle Arztpraxis hin, die sich im ehemaligen Bankgebäude an der Schützengasse an bester Lage in Zürichs Zentrum befindet. Wer sich ins Innere begibt, wird durch die Dimensionen beeindruckt: Über insgesamt fünf Stockwerke erstrecken sich lange Flure mit Behandlungs- und Sprechzimmern, einem Labor, Sitzungszimmern sowie der Apotheke/Medikamentenausgabe und einem grossen Empfang im Erdgeschoss. Im Untergeschoss befindet sich ein geräumiges Auditorium für Weiterbildungen und Informationsveranstaltungen. Nicht nur durch ihre Ausmasse unterscheidet sich die vom gemeinnützigen Verein Arud geführte Institution, sondern auch aufgrund ihrer Patient:innen. Im Leitbild ist zu lesen: «Wir arbeiten für Menschen, deren Suchtverhalten oder deren Konsum von legalen und illegalen Substanzen problematisch ist. Wir respektieren die persönlichen Schicksale und Lebensentwürfe und begegnen den Personen dahinter mit Respekt. Die Betroffenen werden unterstützt, ihren Konsum risikoarm zu halten und ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen.»
Die enge Zusammenarbeit von Arud und Arche ist entscheidend
Prof. Dr. Philip Bruggmann, Co-Chefarzt Innere Medizin, erklärt: «Das Ziel ist es, mit unseren über 40 Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen, Pflegenden und einer Forschungsabteilung eine umfassende Versorgung vor Ort anbieten zu können. Die Leute, die zu uns kommen, sollen hier behandelt werden können, mit so wenigen Ansprechpersonen wie möglich.» Die enge Zusammenarbeit mit der Arche Zürich sei durch die vielen gemeinsamen Klient:innen entstanden: «Sie erfordern einen Austausch, da beide Institutionen an ihrer Versorgung beteiligt sind.» Ein weiterer Aspekt sei gewesen, dass die Arche die Auflage erhielt, einen offiziellen Heimarzt zu benennen. Prof. Dr. Bruggmann übernahm diese übergeordnete Funktion und begleitete die Arche Zürich durch die Pandemiephase. Ausserdem überwacht er, dass die Funktion der Apotheke mit Medikamentenausgabe regelkonform durchgeführt wird. Seine Rolle als Heimarzt habe jedoch nichts damit zu tun, dass viele Arche-Bewohnende als Patient: innen in die Praxis kämen, ihnen stehe selbstverständlich die freie Arztwahl zur Verfügung. Fakt ist, dass sich Suchterkrankte bei der Arud verstanden, aufgehoben und gut behandelt fühlen – nicht zuletzt aufgrund des regelmässigen Austauschs mit den Fachleuten der Arche, die auf Wunsch Patient:innen auch zu ihren Arztterminen begleiten. Prof Dr. Bruggmann erklärt, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen ist: «Auf beiden Seiten arbeiten sehr viele Personen, das ergibt ebenso viele Schnittstellen. Es ist äusserst wichtig, dass wir uns austauschen, unsere Patient:innen sind Menschen mit chronischen Krankheiten, die sowohl uns als Behandelnde wie auch die Arche als Betreuende betreffen. Es geht hier nicht nur um die Koordination der Medikamentenabgabe, sondern um Informationen zum allgemeinen Wohlbefinden oder Reaktionen auf neue Präparate.» Er erklärt weiter, dass er regelmässig an den Teammeetings der einzelnen Wohngruppen teilnimmt oder Weiterbildungen organisiere; ein Vorgehen, das sein Kollege aus dem psychiatrischen Bereich ebenfalls verfolge.
Abhängigkeit ist mit einer chronischen Krankheit vergleichbar
Durch ihre Unabhängigkeit könne die Arud flexibler auf neue Bedürfnisse reagieren als beispielsweise staatliche Institutionen und sich rascher weiterentwickeln. Angefangen habe man vor über dreissig Jahren mit Methadonbehandlungen, danach folgte die Abgabe von medizinischem Heroin und später die Behandlung von Kokainkranken und schliesslich immer mehr von Alkoholabhängigen. Heute ist die Arud nicht nur Arztpraxis, sondern eine von der FMH anerkannte Weiterbildungsstätte sowie Ausbildungsorganisation. Das Angebot für Patient:innen passt sich den wandelnden Anforderungen laufend an, aber: «Wichtig ist nebst einer medikamentösen Versorgung auch immer die psychosoziale Betreuung oder die Begleitung durch einen ambulanten Entzug», betont der Co-Chefarzt.
Sucht ist weder selbstverschuldet noch ist der Ausstieg eine reine Willenssache; sie ist vergleichbar mit einer chronischen Krankheit. Die Frage, warum legale Suchtmittel von der Gesellschaft gefördert und geradezu gefeiert werden, zum Beispiel mit Wein- oder Bierfesten – demgegenüber ein Abhängiger von illegalen Substanzen auf keinerlei Akzeptanz stösst, bleibt unbeantwortet. Man stelle sich den Aufschrei vor, wenn neben dem beliebten Weinschiff ein Schiff mit Designerdrogen um Kundschaft werben würde ...